Terézia Mora appelliert an Ungarn: „Seid unverzagt!“

Die ungarische Mehrheit sei zu passiv gegenüber ihrer Regierung, kritisiert die Schriftstellerin Terézia Mora. Als Tochter ungarndeutscher Eltern ist sie 1990 nach Berlin ausgewandert, wo sie Karriere als Autorin machte. Im Herbst 2013 erhielt sie für ihren Roman „Das Ungeheuer“ den Deutschen Buchpreis. Was sie heute jungen Ungarn mit auf den Weg geben möchte, erklärt Mora im Gespräch.


(c) Imre Bellon /Goethe-Institut Budapest

Frau Mora, im Jahr 1990 sind Sie von Ungarn nach Deutschland ausgewandert und bis heute dort geblieben. Wie oft kommen Sie heute noch in Ihre Heimat?

Zweimal im Jahr.

Wie erlebten Sie die erste Rückkehr nach Ungarn? Hat sich Ihr (literarischer) Blick auf die Heimat verändert?

Die erste Rückkehr? Das kann man so nicht auseinanderhalten. Ich bin ja nie für länger weggeblieben. Literarisch beschäftige ich mich nicht explizit mit Ungarn. Natürlich wird es immer Spuren meiner ungarischen Herkunft in meinen Texten geben. Das ist gar nicht anders möglich. Im Laufe der Jahre (meiner eigenen Reifung) gelingt es mir immer mehr, mich auf jenen Teil des Mitgebrachten zu konzentrieren, den ich als positiv werte. Das Geschenk, das es bedeutet, ungarische Literatur im Original lesen zu können. Ich bin allerdings weiterhin froh, nicht mehr in dem Dorf zu leben, in dem ich aufgewachsen bin und dass der ungarische Alltag (den ich als einschränkender erlebe, als den, den ich als Erwachsene in Berlin habe) keinen Zugriff auf mich hat, wenn ich das nicht will.


Ungarn erlebt die letzten Jahre eine enorme Auswanderungswelle. Mehrals 24. 000 Personen sind allein 2013 von Ungarn nach Deutschland gezogen. In den Medien wird gern vom „größeren Exodus als 1956“ gesprochen.

Es gab ja schon eine kleine Auswanderung unmittelbar nach der Wende. Die Grundlage dieser war, dass junge Leute einfach die neuen Möglichkeiten ausprobieren wollten. Die Freiheit leben, die ihnen, anders als ihren Eltern, zur Verfügung stand – ohne dafür den Preis endgültiger Entscheidungen (wenn du gehst, gibt es keinen Weg zurück) in Kauf nehmen zu müssen.
Diese neue Welle hat einen viel traurigeren Hintergrund – wie wir alle wissen. Sie hat damit zu tun, dass man lange Zeit gehofft hatte, eine Lebensweise nach westlichem Muster würde sich bald auch in Ungarn verwirklichen lassen, und man nun dabei ist, diese Hoffnung aufzugeben. Man will, in dem einzigen Leben, das man hat, nicht mehr länger warten.

...und sucht das Glück in London, Wien oder Berlin.

Ich lese immer wieder, dass Auswanderer als Grund angeben, dass sie in einem Land arbeiten wollten, in dem man es anhand seiner Leistung zu etwas bringen kann, ohne Ansehen der Person, ohne Vetternwirtschaft und Korruption. Und dann gibt es auch noch die Fälle, denen nicht nur die Atmosphäre nicht gefällt, sondern die sich in Ungarn konkret von Armut bedroht fühlen. 


Sie sind damals als 19-Jährige ausgewandert und in Deutschland sesshaft geworden. Heute treffe ich oft junge Ungarn, die vom Auswandern träumen. Während die einen – zum Beispiel nach dem Studium -unbedingt zurückkommen wollen, sehen die Anderen für sich keine Zukunft in Ungarn. Wenn diese Leute untereinander diskutieren, hängt oft auch der Vorwurf des Egoismus, sogar des moralischen Landesverrats in der Luft. Was würden Sie heute einer 19-Jährigen raten, die überlegt aus Ungarn wegzugehen?

Ich würde ihr dasselbe sagen, was ich jedem Menschen sage, was auch József Attila so richtig gesagt hatte: „Hingestreckt wirst du sowieso.“ Du bist, weil du ein Mensch bist, grundsätzlich, von Anfang an: frei. Das bedeutet nicht weniger, als dass du die Verantwortung für dich trägst. Und du kannst sie auch tragen. Natürlich wird dich immer einer des Verrats bezichtigen, dem es nicht gefällt, dass du die dir zustehende Freiheit in Anspruch nimmst. Auch das gilt grundsätzlich: jemand wird immer versuchen, Kontrolle über dich zu erlangen. Aber du sei unverzagt. Noch einmal: wie du dich auch immer entscheidest, die Verantwortung dafür trägst allein du.

Terézia Mora bei einer ihrer seltenen Lesungen in Budapest (16. 9. 2014)
(c) Imre Bellon /Goethe-Institut Budapest

In Ihrem aktuellen Roman „Das Ungeheuer“, mit dem Sie 2013 auch den Deutschen Buchpreis gewannen, verliert der Protagonist Darius Kopp seine Frau. Für ihn bricht durch den Selbstmord eine Welt zusammen. Er verliert das Zugehörigkeitsgefühlt zu seiner Wohnung, seiner Stadt, zu seinem bisherigen Leben. Also macht er sich spontan auf zu einer Fahrt nach Ungarn, und später weiter ostwärts, auf die Suche nach den Wurzeln seiner Frau, und schließlich auf die Suche nach sich selbst. Ist die Analogie zum aktuellen Ungarn und zum angesprochenen Exodus, aber auch zur gesellschaftlichen Situation eigentlich eine beabsichtigte?

Nein. Es geht nicht um Ungarn. Es geht um Dinge, die den Menschen als solchen betreffen.

Eine andere Parallele könnte man beim Thema Arbeit ziehen. In Ihrem Roman sprechen Sie auch den Zusammenhang des Selbstwertgefühls mit der Erwerbsarbeit an. Darius Kopp hat unter seinem sinnlosen Job gelitten. Heute überschreiten viele Ungarn die Grenzen, um in England, Deutschland oder Österreich zu arbeiten. Oft bleiben sie allerdings in Hilfsarbeiter-Jobs hängen. Was meinen Sie dazu?

Zum Einen: ja, ich bin der Meinung, dass die Qualität der Arbeit, die wir tun können einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität unseres Lebens hat. Empfinden wir unsere Arbeit als sinnvoll, empfinden wir unser Leben als sinnvoll. Frustriert uns die Arbeit, kostet es uns viel Mühe, auf anderen Gebieten Freude und Sinn in unser Leben zu bringen. Jeder Mensch möchte sich nützlich fühlen, jeder hat gerne das Gefühl, etwas bewegen zu können.
Zum anderen: Es ist leider das Schicksal des Migranten, dass er häufig „unten wieder einsteigen“ muss. Ich denke, die Menschen nehmen das auf sich, weil sie es als den Beginn eines möglichen besseren Lebens ansehen. Aber es ist sogar die Möglichkeit vorstellbar, dass es besser ist, ein Leben lang Hilfsarbeiter in einem wohlhabenden, geordneten, sicheren, friedlichen, offenen, nicht korrupten Land zu sein, als eine höhere Position in einem Land, in dem man sich nicht wohlfühlt. Status hat zwar auch seinen Anteil am Glücksempfinden, aber dieser ist wesentlich geringer, als man allgemein annimmt.

Bei Ihrer Lesung im September am Goethe Institut Budapest erzählten Sie davon, wie schwer es Ihnen falle mit politisch Andersdenkenden in Ungarn zu diskutieren. Ist die Kommunikation in Ungarn an ihre Grenzen gestoßen? Müsste nicht zumindest die  gebildete Elite gesprächsbereiter sein?

Es fällt nicht mir schwer, mit ihnen zu reden, sondern ihnen mit mir. Ich suche das Gespräch, sie blocken ab. Die gebildete Elite ist sehr wohl gesprächsbereit. Es ist die passive Mehrheit (die es übrigens in allen Gesellschaften gibt), die kein Interesse am eigenen Schicksal zu haben scheint. Es scheint kein Vertrauen in die von den Mächtigen ruinierte Sprache zu bestehen. Dafür mache ich natürlich nicht die passive Mehrheit verantwortlich, sondern die Mächtigen, denen für die Erlangung und Erhaltung der Macht jedes Mittel Recht war, die der Demoralisierung der Bevölkerung allemal.




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