Nonstop Risk & Fun in Almaty

Fahr bloß nicht mit Fremden mit, hat mir meine Mutter als kleines Mädchen immer wieder eingebläut. Erfolglos, denn schon damals hat sich mein Charakter weit in Richtung naiver Sturköpfigkeit entwickelt. Und auch die schlimmsten Kidnapping-Fantasien haben mich nicht davon abgehalten, meinen viel zu langen Schulweg auf die bequemste Art und Weise abkürzuzen.

Heute sind sowohl Sturköpfigkeit als auch Faulheit größer und stärker denn je. Da kommt mir Almaty gut gelegen. Denn hier ist es wie in vielen anderen Großstädten Gang und Gebe, mit privaten Taxis mitzufahren. Jedes zweite Auto (erkennbar meist an der schäbigen Karosserie) hält an, wenn man in bordsteinschwalbiger Manier am Straßenrand das Ärmchen streckt. Zwischen umgerechnet 50 Cent und 3 Euro kommt man nahezu überall hin. Ein Busticket kostet 40 Cent (Chaos, Schweiß und Gedränge inklusive).

Das Bussystem hier ist chaotisch und lebensgefährlich. Die Busse würden jedem DDR-Nostalgiker ins Schwärmen bringen und neigen besonders bergauf zu Rauchattacken. Dazwischen kurven bereits ein paar moderne Omnibusse herum, allerdings in einem Schneckentempo, das für den permanent ungeduldigen Europäer an Masochismus grenzt.

Zweifellos könnten Risikoanalysten einfach ausrechnen, wie gefährlich das Autostoppen im Vergleich zum Busfahren ist. Nach meiner eigenen empirischen Untersuchung (n=ca. 100) sollte man wohl besser auf beides verzichten, wenn man es bis zum Altersheim schaffen will. Leider stehen Fußgänger hier ganz unten in der Nahrungskette und keine PS der Welt würden mich dazu bringen, bei diesem Verkehr selbst zum Steuer zu greifen. Es bleibt einem also nichts Anderes übrig, als es mit dem Autostoppen zu versuchen und dabei möglichst nicht über fehlende Gurte oder Schädel-Hirntraumata nachzudenken.

Der beste Nebeneffekt des Autostoppens sind die Gespräche. Zum Einen kann man hier sein Russisch durch viel Small-Talk verbessern und hie und da lernt man auch interessante Menschen kennen. Die Kasachstaner - verallgemeinert gesprochen - sind sehr offen. Wenn sie merken, dass man aus Deutschland oder generell Europa kommt (das merken sie bei mir ja schon beim Aussprechen der Straßennamen) gibt es kein Entrinnen mehr. Neugierde gepaart mit Vorurteilen - Ein aus dem Gedächtnis protokolliertes, verdeutschtes Gespräch sei im Folgenden zur Veranschaulichung dargeboten:


Woher sind Sie?
Aus Österreich.
Österreich?
Ja, aus Österreich.

Ah. Arnold Schwarzenegger, ja? Österreich auch?
Ja, auch.
Und was machen Sie hier? Studentin?
Arbeiten.
Wo?
Bei einer Zeitung.
Ah...

Haben Sie einen Mann? (auf diese Frage empfiehlt sich immer ein Ja)
Ja. Ist das schon die Straße?
Kinder? Haben Sie auch Kinder?
Natürlich.
Wie viele Kinder? Wo ist der Mann? In Österreich oder in Kasachstan?
Ich habe drei Kinder. In Österreich.
Ah...

Wie alt sind Sie?
24. Wie weit ist es noch?
Österreich ist teuer. Kapitalismus oder? (lacht)
Almaty auch (Es empfiehlt sich aus Sicherheitsgründen, nicht vom Reichtum des Heimatlandes zu schwärmen)
Ja, ja. Auch teuer.


Hier breche ich das Gesprächsprotokoll ab. Was meistens folgt sind die Lebensgeschichte des Fahrers und zahlreiche Fragen zum aktuellen Wohnort, zur Handynummer, zu den Plänen für die folgenden Tage und nochmal zur Sicherheit, ob das mit dem Mann und den drei Kindern auch tatsächlich stimme. Je nach Verkehrslage und Verständigungsproblem mit dem Fahrer variiert diese Unterhaltung geringfügig. Nach geschätzten hundert Fahrten hat man bereits beim Einsteigen alle Floskeln parat und schmollt schon fast beleidigt am Rücksitz, wenn der Fahrer keinen Smalltalk führt oder Arnold Schwarzenegger nicht kennt.

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