Erste Randnotizen aus dem Osten

„Dani, stirb bitte nicht!“ - Diesen bescheidenen Wunsch gab mir eine Freundin  kurz vor meiner Abreise scherzhaft mit auf den Weg. Mit ihrem Misstrauen bezüglich meiner Sicherheit vor Ort war sie nicht alleine. Jeder Abschied glich dem anderen-    zumindest was den Teil mit der drohenden Gefahr betraf. Zwar konnten die wenigsten mit meiner Reisedestination"Kasachstan" wirklich etwas anfangen , zweifelsohne erschien ihnen dieses als ein sicherlich riskantes Ziel. Schließlich war auch mir mulmig zumute, als ich punkt Mitternacht übermüdet das Flugzeug verließ und mich etwas orientierungs- und planlos am Flughafen von Almaty widerfand. Schnell hatten mich sämtliche zuvor verdrängte Vorurteile wieder eingeholt. Ich misstraute jedem, der mich ansprach, blickte möglichst keinem in Uniform zu lange in die Augen und zitterte bereits beim Anstehen vor der Passkontrolle.

Kann man denn in dieser dunklen, wirren Stadt wirklich niemandem  vertrauen? Ist Zentralasien wirklich nur mit guten Sprachkenntnissen und einer großen Portion Vorsicht zu genießen? Mit Gedanken wie diesen verbrachte ich die erste Nacht und den ersten Tag in jener Stadt, welche mich ihrerseits am Morgen mit Sonnenschein begrüßte und deren zahlreiche Bäume mich vor der Hitze schützten.

Tag 1 und Tag 2 irrte ich durch die Straßen, verbrachte zahlreiche, stickige Stunden in Bussen und stolperte über holprige Gehwege. Ich entzifferte die wenigen Straßennamen und verglich diese so gut es ging mit meiner Karte. Meistens aber beobachtete ich einfach die Leute um mich herum. Ich saß auf Parkbänken, bei Bushaltestellen oder einfach irgendwo am Boden, wo Schatten war.

Und sehr schnell wurde mir bewusst, dass ich mich in einer völlig fremden Stadt, in einem mir unbekannten Land und auf einem von mir bisher nicht bereisten Kontinent befinde. Dass ich der gängigen Sprache keinesfalls mächtig, und mit den hiesigen Gepflogenheiten nicht bekannt bin. Über allem wuchs aber die Erkenntnis, dass auch hier – fernab der Heimat -  die Menschen wie überall auf dieser Welt einfach  Menschen sind. Nicht mehr und nicht weniger.
Beweise dafür fand ich zahlreiche: So fiel mir gleich die verrückte alte Dame im Bus auf, die mit sich selber sprach und dabei wild gestikulierte. Ich schmunzelte über den Gesichtsausdruck der jungen Frau dahinter, welche sich am liebsten einen anderen Platz im Bus ausgesucht hätte. Und auch der ältere, gutmütig blickende Herr an der Bushaltestelle fiel mir auf. Jedem Passanten gab er, ob nun erwünscht oder unerwünscht, einen Ratschlag mit auf dem Weg. Natürlich blieb mir auch nicht das kleine Mädchen verborgen, das sich mitten im Park schreiend auf den Boden geworfen hatte und seine Mutter damit zur Verzweiflung trieb. Ebenso die vier Halbstarken, die mit proletenhaftem Gehabe und lauten Klingeltönen versuchten, ihr Revier – bestehend aus den drei Betonstufen vor einem Gebäude-Eingang – mit aller Kraft zu verteidigen. An der einen Ecke freute ich mich über den hilfsbereiten Mann, der zwar „aussah wie ein Krimineller“ (so in etwa würde ihn vermutlich die heimatliche Boulevardzeitung beschreiben), der mir aber trotz fehlender Englisch- und Russisch-Kenntnisse mit Hand und Fuß den Weg erklärte.  
Während ich dann so an den schwitzenden Bauarbeitern vorbei spazierte und mich angesichts ihrer Zurufe wie alle anderen Frauen taub stellte, wurde mir wieder einmal klar:  Wer sich beim Reisen nicht bloß auf Landschaft, Sehenswürdigkeiten oder Architektur konzentriert, sondern sich Zeit nimmt, die Menschen und ihre Lebensweise zu betrachten, dem ist es egal, ob er entlang des Dostyk Prospekts oder der Herrengasse spaziert: Nur solch ein Reisender kann sich an jedem Ort der Welt zuhause fühlen.

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