Die Nachrichten von heute - bei mir schon morgen

Ich wohne in einer Gemeinde, in der vor wenigen Jahren noch ein Bild von Engelbert Dollfuß am alten Schulgebäude gegenüber der Kirche und des Gemeindeamtes hing. Noch heute ist es im Gebäude, etwas versteckt, aber dennoch so allgegenwärtig wie die Folgen eines Generationen übergreifenden Lagerkampfes zwischen Schwarz und Rot.

"Zwecks da Optik warats also g'wesen", dass das Dollfuß-Bild in meiner Gemeinde einen neuen Platz fand, zwecks des Konsens aber schweigt man sich darüber noch heute aus. Auch bei der Opposition, die beispielsweise trotz geschichtlicher Vorbelastung bis heute nicht von der "Genossen"-Anrede ablassen will. Natürlich ist meine Gemeinde kein Einzelfall. Es spielt keine Rolle, ob sie in Oberösterreich oder Kärnten beheimatet ist. Wer in einer kleinen Landgemeinde aufgewachsen ist und mit offenen Augen und Ohren durch die Gasthäuser und Zeltfeste geht, kann sich teilweise sicher in diesem Artikel wiederfinden, worin u. a. Folgendes geschildert wird:

Beate, die aus einem bürgerlichen Elternhaus kommt, ging auf eine schwarze Schule. Ihr erstes Schülerkonto eröffnete sie bei einer schwarzen Bank. Sie war Mitglied in schwarzen Sportvereinen und im schwarzen Automobilclub. Sie sagt: „Es war nicht aus Gewohnheit oder Tradition. Es war wirklich eine Frage der Haltung.  (...) Egal, worum es ging, irgendwann kam immer die Frage: Ist das ein Roter oder ein Schwarzer? Immer!

 Der Artikel erschien in der vorigen Ausgabe der FAS, Reaktionen gab es aber erst heute, als er online entdeckt wurde. Vom Twitter-Aufschrei war ich nach der Lektüre mehr als erstaunt: Nicht die Behauptung, Österreich wäre ein "geteiltes Land" wurde diskutiert, sondern das journalistische Vorgehen der Autorin stand im Mittelpunkt. Der Artikel sei zu schlecht recherchiert, ein Generalisierungsrisiko wird attestiert und überhaupt: "Was hat sie denn geraucht?" heißt es in einem der Tweets - alles gehashtagt mit #fazpalm. Klar, die Journalistin hat ein Interview geführt, in dem sich die Interviewte selbst nicht mehr wiederfindet. Nur aus diesem Interview und einer Kurzzusammenfassung der Wikipedia-Seite über den Österreichischen Bürgerkrieg hat sie schließlich einen Artikel gebastelt, worin sie sich breit und lang einer Netz-Metapher hingibt und dabei übersieht, dass Österreich mittlerweile mehr als "zwei politische Lager" hat. Aber bei aller Kritik an der journalistischen Kompetenz: Interessiert sich denn wirklich niemand für das Thema?


Die Hauptprotagonistin des Artikels, Beate Meinl, hat zwar ihre Argumentation etwas relativiert, am Kernproblem hat das aber nichts geändert. Sie selbst ist aus einem dieser Lager (ÖVP) ausgebrochen und verfolgt ihren Weg nun abseits von "Guten Tag" und "Grüß Gott" in der neuen Partei der "NEOS". Doch auch wenn sie in ihrer Reaktion auf den erschienen Artikel schreibt: "Von der Wiege bis zur Bahre war einmal", klingt das auf der Seite der NEOS dann noch anders: "Letztlich sind die Parteien total veraltet- in ihren Strukturen, in ihrem Zugang, die „eigenen“ Leute von der Wiege bis zur Bahre über das Parteibuch zu versorgen." Diese Widersprüchlichkeit ist nun mal Realität in Österreich, denn trotz aller Aufweichung, Rechtfertigung und aufgeklärtem Wunschdenken, sind wir  (ja, ich generalisiere jetzt) vom Lagerdenken geprägt.  ARBÖ oder ÖAMTC? ASKÖ oder UNION? Bis heute hat sich das Schwarz-Rot-Denken in den Köpfen der Menschen gehalten. Es erneuert sich sogar mit jeder Generation.

Wieviel Wahrheit wollen wir?

Abseits dieser Stimmungs-Debatte erlaube ich mir noch ein kleines WAS WÄRE, WENN: Was wäre, wenn nicht Beate Meinl, sondern ein angesehener Politologe diese Einschätzung vorgenommen hätte? Hätte es dann auch diesen Aufschrei gegeben? Jeder weiß, dass Generalisierung gefährlich sein kann, doch ist es nicht genau das, was JournalistInnen wollen? Sie dürsten nach etwas, das noch nicht berichtet werden kann, weil es einfach noch nicht passiert ist. Trotzdem wollen sie heute die Nachricht von morgen haben, koste es was es wolle. Mag sich die Prognose bewahrheiten oder auch nicht.

"so sagen es die Prognosen"

Ähnliches geschah heute nur ein paar Tweets weiter - unter dem Hashtag #tirol2013. Hier ging es um die Erkenntnis, dass - und jetzt kommt's - Wahlprognosen nicht gleichbedeutend mit Wahlergebnissen sind. Die Tirolwahl hat doch nur das gezeigt, was manch Oppositionspartei vor Wahlen schon immer gerne zur Antwort gibt. Weder ein Orakel, Politologe noch die neugierigen Call-Center-MitarbeiterInnen des Meinungsforschungsinstituts können in die Wahlkabinen schauen. Solange nicht alle Menschen so offenherzig ihr Kreuzerl machen wie der Tiroler Landeshauptmann, wird das auch so bleiben.

Aber

Zeitung besteht ja zum Glück nicht nur aus aneinandergereihten Fakten. Nicht nur aus ExpertInnenmeinungen. Zeitung ist eben auch subjektiv. Die genannte Journalistin hat versucht (!) diese Subjektivität durch historische Fakten in einen glaubwürdigen Kontext zu stellen - Zwar ist es ihr misslungen, aber zumindest hat sie etwas thematisiert, wozu wir ÖsterreicherInnen aufgrund unserer Betriebsblindheit oder Schwarz-Rot-Schwäche schon gar nicht mehr wahrnehmen (wollen). Was ich mir jetzt wünsche, sind heimische JournalistInnen, die sich selbst ans Recherchieren machen und fragen, warum sich erst eine konservative, deutsche Zeitung über Parteibuchwirtschaft in Österreich Gedanken machen muss, bevor wir selbst am System rütteln. Es wäre mal wieder an der Zeit für ein bisschen Empörung.

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