Land ohne Strom: Zur Rhetorik der Energiewende

Österreich ist Vorreiter in der erneuerbaren Energie. Unsere Erfolge bauen einzig auf den Leistungen der Österreicherinnen und Österreicher auf. Wir haben nicht nur eine grandiose Natur, wir schaffen auch den Spagat zwischen Naturschutz und Fortschritt ohne dabei auf Wirtschaftswachstum und Wohlstand verzichten zu müssen. 

Es muss wohl an unserer Innovationskraft liegen, vielleicht aber eher an der historischen Selbstvergessenheit unseres Landes, dass viele Menschen an Mythen wie diesen festhalten. Noch werden KritikerInnen nicht als Nestbeschmutzer oder Feinde der Nation beschimpft, so wie dies etwa in Ungarn fixer Bestandteil des Diskurses ist. In Zeiten von Transformationen werden unsere nationalen Mythen aber zunehmend verstärkt und im neuen Kontext ausstaffiert. Österreichs Mythos vom "Grünen Land am Strom" wird gerade im Hinblick auf die Energiewende äußerst lebendig bemüht. 

So lag kürzlich der Jahresbericht der Österreichischen Energie der Tageszeitung "Die Presse" bei. Wenn es nach der Spitze der Interessenvereinigung geht, gilt Strom als "Energie der Zukunft" und Elektrizität als "Lebensader unserer Gesellschaft". Definieren wir unser Land, unsere nationale Identität, entlang dieses Stroms (Zweideutigkeit beabsichtigt), dann müssen wir uns folglich alle einig darüber sein, diese lebensnotwendige Verbindung nicht kappen zu wollen. Gut, dass wir mit den Herausgebern des Berichts auch eine vertrauenswürdige Success-Story erhalten: Die erfolgreiche Liberalisierung des Strommarkts, in der "die österreichische E-Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine enorme Leistung vollbracht hat". Schon wieder ist Österreich der Pionier und Spitzenreiter. Ähnlich wie in den 1980er Jahren, als unser Land schlau genug war, die Potentiale unserer schulden-geplagten östlichen Nachbarn zu erkennen und folglich zu nutzen. Eine Success-Story nach der anderen.

Die Klimaziele der Europäischen Union bilden die nächste Hürde, die es erfolgreich von der heimischen Energiewirtschaft zu meistern gilt. Zwischen den Zeilen ist die Position zu diesen Zielen aber etwas distanziert: "Österreichs E-Wirtschaft steht diesem Ziel [Klimaneutralität] positiv gegenüber", heißt es im Editorial. In dieser Konstellation steht die E-Wirtschaft also den Klimazielen gegenüber? Sollten die Ziele nicht eher verinnerlicht werden? Vielleicht hilft hierbei ja die Hoffnung auf eine eigene 3G-Regel: Geld, Gunst und Gesetze. Denn der Sektor erwartet sich viel finanziellen Rückenwind für den anstehenden Umbau. Ein Satz dieses Editorials spricht Bände: "Denn Energiewende bedeutet, Infrastruktur für den langfristigen Umweltschutz zu errichten." Lassen Sie sich bitte ein paar Minuten Zeit nach diesem Satz! Er muss nachwirken.

Das Versprechen ist klar: Wird Bürokratie abgebaut, werden Rahmenbedingungen erleichtert und fließen mehr öffentliche Gelder in neue Infrastrukturprojekte (wie Wasserkraftwerke, Biomasse, Photovoltaikanlagen und Windparks), dann gibt es auch die "dringend notwendigen Impulse für die heimische Wirtschaft" sprich Arbeitsplätze, Steuern und Abgaben. Der Erzfeind der E-Wirtschaft wird auch benannt: "lange Genehmigungsverfahren und umkalkulierbare Aufschübe". An dieser Stelle könnten wir uns den obigen Satz nochmal auf der Zunge zergehen lassen. Denn sind es nicht zumeist die Umweltverträglichkeitsprüfungen und damit einhergehenden Verhandlungen, die zu Verzögerungen führen? Wenn ich den Satz richtig verstehe, dann dient eine Abkürzung dieser Prozesse letztlich dem "langfristigen Umweltschutz". Jemand sollte diese Einsicht wohl einmal den Umweltschützerinnen dieses Landes erklären. Das also ist mit Bewusstseinsförderung gemeint. 

Oder ist mit Umweltschutz nicht doch eher den Schutz unserer Lebensart gemeint? Sind wir bereit, auf dem Weg zur Klimaneutralität den Naturschutz hintanzustellen? Und wenn ja, wo setzen wir die Grenzen? Bei den Nistplätzen neben dem Windpark oder bei den Fischpopulationen in der Donau? Die Umwelt braucht unseren Strom nicht. Für uns Menschen ist die Vision eines Landes ohne Strom furchterregend. Für die Wirtschaft ist der Outage eine reale Bedrohung.

Doch anstatt dieser Diskussionen bemüht sich die Interessengemeinschaft der E-Wirtschaft um eine unehrliche Rhetorik zur Energiewende, dessen Spin seit Jahrzehnten der gleich eist: Infrastruktur wird dafür gebaut, dass unser Leben ungestört weitergehen kann. Durch Liberalisierung und Bürokratieabbau sind Fortschritt und Wohlstand weiterhin möglich. Umweltschutz ist ein erfreuliches Nebenprodukt dieser Bemühungen. Und die Akteure dahinter sind Garanten unserer wirtschaftlichen Überlegenheit, unserer nationalen Identität und unserer Zukunft. 

Dabei wäre es dringend an der Zeit, Klartext zu reden. Es mag naiv sein, aber ich erwarte mir von einer Interessenvertretung der E-Wirtschaft klare Argumente, warum die Klimaziele aus ihrer Sicht gegen die Interessen der österreichischen Energiewirtschaft sprechen. Welche Folgen sind zu erwarten? Welche Kompromisse müssen wir eingehen (Stichwort Importe)? 

So viele Menschen haben genug von Heilsversprechen, Anrufungen an die "Wirtschaftsmotoren" und Wasserstoff-Offenbarungen. Was es jetzt braucht sind öffentliche Diskussionen darüber, ob wir bereit sind als Gesellschaft und Volkswirtschaft auf Strom (=Wohlstand, Wachstum und Fortschritt) zu verzichten, um die gesteckten Klimaziele zu erreichen. Und in welchen Bereichen das tatsächlich möglich wäre. Den Verzicht suchen wir jedoch im vermeintlich schmerzlosen "Green Deal" vergeblich.

Keine Investitionsoffensive, Gesetzesänderungen, keine noch so rasante F&E und schon gar keine Rhetorik wie in diesem Beispiel führen uns an dieser harten Diskussion vorbei. Mythen mögen für die Unternehmenskommunikation sehr praktisch sein. In einer pluralistischen Demokratie verklären sie aber die Sicht auf die Dinge und verunmöglichen offene Auseinandersetzungen. Stellen wir uns endlich der Wahrheit und beginnen wir offen zu (ver)handeln!










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