Die Elite und ich. Abrechnung und Aufruf.

Ich hab es schon wieder getan. Schon wieder bin ich auf einer dieser Veranstaltungen gelandet: Umgeben von Stuck und Ölgemälden, Damen in gemusterten Stehempfangs-Uniformen, bleichgesichtige Männer am Podium, lichtes Haar im Anzug, Perlenkette mit dritten Zähnen. Es ist aber nicht das Alter, das mich abstoßt. Es ist vielmehr das Gruppenbild einer Elite, die auch im 21. Jahrhundert noch jedes Klischee auf der stolzen Brust trägt.

Während ich ihren Geschichten lausche und versuche, die wenigen bemerkenswerten Fakten zwischen viel zu vielen Anekdoten mitzunotieren, frage ich mich, wie es dazu kommen konnte. Wie ich soweit kommen konnte, ein Teil dieses Gruppenbildes zu werden. Denn ob ich will oder nicht, gehören solche Veranstaltungen mittlerweile zu meinem Alltag. Ob ich die einzige bin, deren Strumpfhose zwickt? Ob nur ich mir die Anpassung vorher noch am Damenklo ins Gesicht schminken muss? Weil ich mich auf solchen Veranstaltungen nach wie vor zumeist fehlt am Platz fühle, flüchte ich mich gern in den Eskapismus meiner Timelines. Doch auch das Scrollen durch die Selbstinszenierung anderer Menschen hilft nur bedingt.

Die graumelierten Eminenzen werfen derweil mit Namen um sich. So als könnten sie den subtilen Streit um die Länge des Geschlechtsteils im fortgeschrittenen Alter durch die Anzahl an Freunderl eintauschen. Vermutlich wäre es unrecht, so etwas zu behaupten. Wahrscheinlich auch politisch inkorrekt.  Aber eine Abrechnung sollte auch emotionalisieren dürfen und nicht jede Polemik mit der nötigen Relativierung sicherlich existierender Ausnahmen abschwächen.

Mein Ärger liegt auch nicht an der wieder einmal offensichtlichen Unausgeglichenheit der Geschlechter auf den Diskussionspodien dieser Stadt. Jede/r weiß, dass es einfach nicht genug Frauen gibt, nicht genug intelligente Frauen, ich meine, genug Positionen für intelligente Frauen oder so. Was ich eigentlich sagen will, ohne jetzt gleich in die Feminismus-Kiste gesteckt zu werden, ist ... Sagen wir einfach, es liegt nicht daran.

Nein, mich ärgert an diesem Abend eigentlich nur eins: meine eigene Kostümierung. Ich habe es nämlich schon wieder getan: mich diesem Milieu anzupassen. Ich habe mir in vollem Bewusstsein der sozialen Angebrachtheit die blickdichte Strumpfhose übergestreift, mich in den Rock gequetscht, die schwarzen Schuhe geputzt und einen dieser viel zu roten Lippenstifte aufgetragen. Nur, um mich den zweifelhaften Geschlechterrollen des Wiener Wissens-Patriachats einzufügen. Denn bei diesen Veranstaltungen, wenn sich die konservative Historikerzunft die Ehre erweist, gibt es nur zwei, maximal drei Rollen, in die sich Frau einzufügen scheint: die elegante Gattin, die etablierte Wissenschafterin oder die adrette "+1". Die Gattin lächelt stolz im Schatten des erfolgreichen Mannes neben ihr. Die etablierte Wissenschafterin investiert sämtliche Energie, um nur ja keinen Quotenverdacht im Publikum aufkommen zu lassen. Nur durch angespitzte Ellbogen und gepresst vorgetragenen Argumenten scheint sie im Kampf gegen ihre Krawattenkollegen ebenbürtig zu sein. Die fesche +1 denkt sich still ihren Teil und wartet. Zum Beispiel darauf, dass ein Mann kommt, der ihre Anwesenheit legitimiert. Oder sie wartet auf den Zeitpunkt, an dem sie die Rolle der Wissenschafterin übernehmen darf. Natürlich setzt das letztgenannte Ziel das erstgenannte voraus. Doch das wird die +1 noch früh genug lernen.

Ich sei zynisch? Ich ärgere mich also bin ich. Selber schuld. An der Anpassung wie auch an der Vorahnung, dass ich mich in keiner dieser Rollen wirklich wiederfinden würde, immer ein Fremdkörper in diesem Bild sein werde. Ich ärgere mich, weil ich bei solchen Veranstaltungen nicht die Eier habe (warum helfen hier eigentlich keine Eierstöcke?), um mir eine eigene Rolle zu erschaffen und diese zu vertreten. Das Bild zu ändern.

Vielleicht aber, so hoffe ich gibt es da draußen noch so jemanden wie mich, Mann oder Frau, als oder jung. Jemand, der lieber schreibt und tut anstatt sich zu ärgern. Wir könnten doch zusammen eine Veranstaltung organisieren, von mir aus auch mit Stuck, Strumpfhosen und Stehempfang. Aber mit mehr Frauen am Podium und mindestens einem Klischee weniger. Wir könnten die Handys ausschalten, den Eskapismus anderen überlassen und die alten, weißen Männer zum Zuhören einladen. Wahrscheinlich würden sie kommen. Auf jeden Fall aber würden wir es wieder und wieder tun. Bis wir uns endlich das leisten können, was wir verdienen: ein Gruppenbild mit Frauen.

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