Wenn James Bond ein Land regiert

Sie gelten als Symbolfiguren für den gewaltfreien Kampf. Sie sind beharrliche Visionäre und charismatische Führungspersönlichkeiten. Als „Kapitäne des Systemwechsels“ manövrieren Staatsmänner wie sie ganze  Länder durch unsichere Zeiten der Transformation. Ganz sicher nicht, um Jahre später zum Thema eines Workshops in Budapest zu werden. Und dennoch stellen sich genau hier Wissenschaftler unterschiedlicher Herkunft die Frage, was jene Politiker auszeichnet. Mein Fazit vorab: Der „gute Politiker“ scheint (nicht nur) in Ostmitteleuropa eine seltene wie umstrittene Person zu sein. Viel einfacher gestaltet sich hier die Suche nach Worst-Practice-Beispielen.*


„Russlands James Bond“ hat die Lizenz zum Regieren, da ist sich die deutsche Politikwissenschaftlern Margareta Mommsen sicher. In ihrem Vortrag analysiert sie sein Profil: Die Rollenbezeichnungen reichen dabei vom präsentierten „Tausendsassa“, Meister der medialen Inszenierung, politischen Strategen über den „Macho-Autokraten“ bis hin zum russischen 007. Mit hohen Zustimmungsraten bei der Bevölkerung spielt Putin jedenfalls die unangefochtene Hauptrolle des „nationalen Führers“. Als Gegenleistung bediene er das Bedürfnis der „gekränkten Großmacht“ neue Wege zu erschließen. Dass dieser Weg seit März 2014 bis ans Schwarze Meer führt, bringt vorerst die propagierte Popularität nicht ins Wanken. Im Gegenteil: „Prosperität, Putinismus und Glamour nach innen wie nach außen“, lauten nach Mommsen die Elemente seines Erfolgs. Macht Putin dies auch zum „guten Politiker“, zumindest „gut“ für Russland? Mommsen zufolge führt der „Propagandastaat“ aus gleichgeschalteten Medien zu einer „apathischen Bevölkerung“, die die konstruierten Feindbilder  und Russlands Image von der „belagerten Festung“ aufsaugt. Wie keiner zuvor schaffe er es, einen „Zusammenhang zwischen hegemonialer Maskulinität und geostrategischer Machtposition“ aufzubauen. Mommsen sieht in Putin dennoch weniger den starken Führer als den strategischen Spieler.



M. Mommsen über Putins "Lizenz zum Regieren"
Systeme der Macht
Doch seien wir einmal ehrlich: „Der gute Politiker“? Dieser Titel allein ist Provokation. Und das auf mehreren Ebenen. Kein Gänsefüßchen kann das ändern. Einmal abgesehen davon, dass die Auseinandersetzung bei keinem der ReferentInnen zur Frage nach der Rolle politisch aktiver Frauen führen will. Gab und gibt es denn tatsächlich keine Politikerin, die den Titel der „Guten“ zumindest im wissenschaftlichen Diskurs tragen darf? Madeleine Albright, Angela Merkel, oder gar Margaret Thatcher? Einzig Sigmar Schmidt von der Universität Koblenz erwähnt eine Frau: Ellen Johnson Sirleaf, Präsidentin Liberias und pazifistische Visionärin. Ansonsten nähren nur noch mehr Worst-Practice Beispiele den Politik(er)frust. Dennoch schaffte es Schmidt, wichtige zentrale Motive einiger süd- und zentralafrikanischer Staatsoberhäupter aufzuzeigen: allen voran den Personalismus als zentrales Kennzeichen afrikanischen Leaderships.  Diese Staatsmänner stützten sich auf Klientelismus und Korruption, sowie auf Repression und Manipulation. Bedingt durch eine vorkapitalistische Prägung entwickle sich der Personalismus mittels traditioneller Legitimationen. Schwache Staatlichkeit, Patronage sowie die Instrumentalisierung des Chaos führten zudem zur Machtsicherung jener Politikertypen, die weit entfernt vom Ideal des „guten Politikers“ regieren.


Afrikanisches Leadership basiert nach S. Schmidt auf Personalisierung.
Weniger Ego, mehr „Dienst an der Sache“ ?
Zur angesprochenen Gender-Frage gesellt sich eine noch viel grundsätzlichere: Was verstehen wir unter „gut“, was unter „schlecht“,  und wo setzen wir die Trennlinie an? Selbst wenn wir uns darauf einlassen, selbst wenn wir in den Spiegel der Moral blicken und uns ein Bild vom „guten Politiker“ machen - Welches Gesicht blickt uns dann an? Welche Kennzeichen machen also einen guten Staatsmann aus? Theoretiker finden Antworten bei Max Weber und seinem bis heute zeitlosen Vortrag zu „Politik als Beruf“ (1919). Während sich der Beamte hinter seiner Pflichterfüllung verstecken möge, gehöre es nach Weber zur Ehre des politischen Führers „dagegen gerade die ausschließliche Verantwortung für das, was er tut“ nicht abzulehnen oder abzuwälzen. Leidenschaft, verbunden am Dienst an der Sache, Augenmaß und Verantwortungsgefühl zeichne den guten Führer aus. „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“, lautet eine zentrale Aussage Webers.

Der Visionär im Schattenstaat
Als Beamter des deutschen Auswärtigen Amtes sucht sich Thomas Schmitt den „guten Politiker“ aber nicht in den Fachbüchern, sondern blickt in die jüngste Vergangenheit, zum „Ghandi des Balkans“. So nennt man bis heute Ibrahim Rugovar. Schmitt sieht in ihm einen „visionären Politiker“. Für viele Albaner wird Rugovar bereits vor seinen Tod im Jahr 2006 zur Legende. Als pazifistischer Gelehrter und „Vater der Nation“ gilt er ihnen darüber hinaus. Seine Vision: „Die Unabhängigkeit des Kosovo mit kompletter Gewaltlosigkeit zu erreichen“, hätte sich dank seiner Beharrlichkeit, Kompromisslosigkeit und Prinzipientreue durchgesetzt. Vom Vorsitzenden der albanischen Partei, der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) baute Rugovar einen „Schattenstaat“ in Serbien auf. Trotz Rückschläge, Vorwürfe der Passivität und der übertriebenen Gesprächsbereitschaft mit den serbischen Gegnern, erreichte Rugovar schließlich die Wahl zum offiziellen Präsidenten des Kosovo. Für seine Verdienste erhielt er u. a. den Sacharow-Preis verliehen. Das Beispiel Rugovar zeige auch, dass „Visionäre zwar oft in Zeiten der Katastrophe brillieren, während sie an den kleinteiligen Problemen des Alltags danach oft scheitern“, so Schmitt. Der Unterschied zwischen politischen Zielen und Visionen zeigten sich eben vor allem in den Ausnahmesituationen. Weitblick und Vision sei gerade unpopulär in Deutschland. Dies zeige, dass konsolidierte Länder eben andere Führungspersönlichkeiten bräuchten als Länder in Transformationsphasen.


Wo ist heute bloß der Visionär geblieben, fragt T. Schmitt in die Runde.



Sonderrollen in Ostmitteleuropa
An der Spitze der Transformationsländer der 90er Jahre sieht die Politikwissenschaftlerin Ellen Bos „Kapitäne des Systemwechsels“. Ihrer Ansicht nach sei die Rolle der Präsidenten in Ostmitteleuropäischen Ländern zentral. Ebenso wie die Diskussionen um deren Bestellung und Ausstattung mit Kompetenzen. Hängt damit die Entwicklung eines Staats hin zu einer funktionierenden Demokratie allein von der Persönlichkeit eines Staatspräsidenten ab? Eines sei klar:  In Phasen der Instabilität öffne sich ein Land zunehmend für den Einfluss eines einzelnen Machthabers. „Unsicherheit bietet mehr Handlungsspielraum und Einfluss bei der Etablierung informeller Verhaltensmuster“, so Bos. Dennoch bedarf es einer Reihe von Faktoren, damit eine Demokratie entstehen kann: Allen voran sozio-ökonomische Entwicklungen eines Landes, die Frage der Pfadabhängigkeit und der Geschichtsaufarbeitung, ebenso wie die Beschaffenheit der Eliten. Nicht zuletzt hätte aber die Vergangenheit gezeigt, dass es „in Phasen des Systemwechsels“ maßgeblich auf Führungspersönlichkeiten ankomme.


Weiße Westen und wohlüberlegte Worte
Mit diesem Wissen stelle man sich vor: einen runden Tisch mit Politikern unterschiedlicher Couleur, und zwischen ihnen dominiert Vertrauen, Respekt und Fairness. Was dem routinierten Politikbeobachter eher schmunzeln lassen mag, scheint in Polen und Tschechien tatsächlich Realität gewesen zu sein. Zumindest für kurze Zeit. Die Schlüsselpersonen der damaligen Runden-Tisch-Gespräche hätten sich nach Ansicht Helmut Fehrs ganz so verhalten. „Weil diese Personen sich gegenseitig als glaubwürdig erachteten, konnte es zur Übereinkunft kommen“, so Fehr. Sie wären damit als Brückenbauer in die Geschichte der Wende eingegangen und hätten die Geburt der neuen unabhängigen Staaten mitgeprägt. Die „guten Politiker“ wären hier nicht Reformkommunisten gewesen, sondern Pragmatiker, mit einer ideologie-freieren Sprache. „Ihre hohe Bereitschaft zur inhaltlichen Zusammenarbeit war zentral“, so Fehr. Politische Akteure mit hoher Legitimität seitens der Bevölkerung, einem gelebten Öffentlichkeitsbezug und frei von Korruptionsvorwürfen – Das mache den Unterschied aus! Spätere politische Akteure wären von einer Kultur des Aushandelns zu einer „Hasskultur“ zurückgekehrt und hätten damit die Errungenschaften der Runden-Tisch-Gespräche zerstört.

Ungarischer Hürdenlauf gescheitert?
Harte Kritik an der politischen Elite Ungarns seit der Wende kommt von Attila Tibor Nagy, Politologe am Budapester Méltányosság-Institut. Er zeigt sich besonders von den bisherigen Ministerpräsidenten enttäuscht. „Alle sind gescheitert aus Ungarn ein entwickeltes Land zu machen“. Die Gründe sieht Nagy zum einen in einer fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik, zum anderen an einer mangelnden Erweiterung eines steuerkräftigen Bürgertums. Große Hindernisse, wie die enormen Staatsschulden ebenso wie die Abwanderungswelle von bis zu 400.000 Ungarn wären nicht überwunden worden. Ebenso kritisiert Nagy die in seinen Augen „schlechte Mentalität der Ungarn“, die sich darin äußere, dass „ungarische Gegner nie gelernt haben, sich gegenseitig zu respektieren“. „Unter diesen Hindernissen ist es fast unmöglich zu regieren“ – Dies hätten die letzten 24 Jahre bewiesen, zieht Nagy Bilanz, „Auf dem Papier gibt es ja sogar eine neutrale Verwaltung – Aber in der Praxis?“

Zusammenfassend zeigt der Workshop eines klar auf: Die Suche nach dem „guten Politiker“ per se ist wohl eher eine „Mission Impossible“. Denn ihr Protagonist ist ebenso fiktiv wie James Bond. Dieser Mythos kennt nur Helden. (Übrigens auch nur einen männlichen) Die Realität allerdings handelt von Menschen, Frauen und Männern, die gute wie schlechte Eigenschaften, Motive und Verhaltensweisen haben. Einzig ihre politischen Entscheidungen und ihr vernünftiges und friedfertiges Handeln in Krisensituationen können im Nachhinein als „gut“ bewertet werden. Nur so wäre für mich die logische Folge einer Suche nach den „guten Politikern“ die Frage nach den „guten Entscheidungen“ politischer Akteure.

*Dieser Kommentar wurde im Auftrag der Andrássy Universität Budapest (Veranstalter des Workshops, am 17.12.2014) verfasst.




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