Und, wie frustriert bist du?

Journalisten , Blogger, Autoren - Sie alle neigen dazu, ihrer Leserschaft die eigenen Befindlichkeiten mitzuteilen. Angesichts der NR-Wahl 2013 erzählt uns einer nach dem anderen, wie frustriert und gelangweilt er (oder sie) denn nicht sei. Doch was bringt uns diese Gemeinschaft des Selbstmitleids? Eine vergebliche Suche nach Meinung in der österreichischen Medienlandschaft.
Ohne Stronach „wäre dies der langweiligste Wahlkampf seit Jahrzehnten geworden“, schreibt Christian Rainer im profil.  Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmidt (STANDARD) zeigt sich von den inhaltsleeren Debatten enttäuscht und in der Redaktion der Salzburger Nachrichten gähnt Manfred Peterer über seinem LeitartikelSymptome bloßer Langeweile oder ist das ein Zeichen kollektiver Resignation vor der drohenden Stagnation? 
Während die einen angesichts fehlender Sachpolitik resignieren, retten sich die anderen in die demokratipolitische Verantwortung, strecken ihre Zeigefinger nach oben und appellieren an die Wahlmoral. Besonders ins Zeug legt sich dabei  Ulrike Weiser von der "Presse", um die „Systemverweigerer“ und Nichtwähler zu überzeugen, sich doch bitte zu arrangieren,  das mit dem Politikerfrust halt „sportlich“ zu nehmen und eben das „kleinere Übel“ zu wählen. Ganz ähnlich sieht es Peterer von den SN:  „Nichtwählen ist keine Lösung“ titelt er und ärgert sich über manch
 Intellektuellen, der die Verweigerung als Protest neuerdings gutheißt.

Ja. Nein. Keine Ahnung.

Keine Spur von Wahlempfehlungen. Ulrike Weiser macht es sich dennoch einfach: Sie besinnt sich auf ideologische Kernfragen: Familienbild, Vermögensverteilung, Liberalismus. Wer eine Meinung dazu hätte, wüsste auch die entsprechend zu wählende Partei, schreibt sie.
Und im Zweifelsfall? Bleibt eh alles gleich...
So dürfte auch das Credo der meisten Journalisten lauten. Peterer bezeichnet die Große Koalition sogar als Garant für Harmonie - allerdings bei gleichzeitiger Stagnation.  Aber das würde den Österreichern sowieso eher liegen als große Umbrüche.
Wahlempfehlungen sind eine heikle Sache. Besonders österreichische Medien meinen, man müsse den Schein wahren und sich auf die Wirkung tendenziöser Berichterstattung verlassen, um Empfehlungen zwischen die Zeilen zu verfrachten. Selbstbewusstere Medien machen das anders: So titelte etwa der Guardian 2010: „The liberal moment has come“ und schreibt frei heraus, dass die Zeitung enthusiastisch für die Demokraten stimmen würde. Hierzulande geht man jedem Fettnäpfchen aus dem Weg und versteckt sich hinter „Schnellkurse für Unentschlossene“  und anderen,zweifelhaften Formaten, die dem Wähler das Kreuzerl erleichtern sollen. Liest man hierbei zwischen den Zeilen, eröffnet sich wiederum eine Tendenz:

„Trotz großer Koalition sind SPÖ und ÖVP erneut gescheitert, große Brocken fürs Land zu stemmen, wie Demokratiepaket, Verwaltungsreform, Lehrerdienstrecht. (...) Zwangsbeglückung bis Kommunismus wittert die entfesselte ÖVP, wenn es um zu viel Ganztagsschule und Kinderbetreuung geht. Wer staatliche Gängelung fürchtet, findet auch Ansprache beim Sozialismus witternden Neos und beim Funktionärsfresser Frank Stronach - beide meinen aber eher Proporz und Parteibuchwirtschaft.“

Ist das die Strategie der Redaktionen? Ein Hickhack auf alle Parteien, um möglichst zu verschleiern, welches Parteiprogramm der Blattlinie am nächsten kommt. In den Leitartikeln - dort, nur dort, wo die journalistische Meinung hingehört! -  hält man sich zurück. Man präsentiert sich sogar als einfacher Wähler, macht auf "Leserbindung", indem man den gemeinsamen Frust teilt. Föderl-Schmidt geht soweit, dass sie einen „offenen Brief einer Wählerin an die Politiker“ anstatt eines Leitartikels als Journalistin schreibt.  Aus der Warte von „uns“ Wählern straft sie die Politik ab.  Wo bleibt die journalistische Verantwortung?
Mut? Fehlanzeige.  
Einig sind sich die hiesigen Journalisten nur bei der Notwendigkeit der Stimmenabgabe. „Ich wähle auch diesmal.“, so die Standard-Chefin. Aber warum nicht sagen, wen? Christian Rainer, profil, bringt es auf den Punkt:

„In Europa sind eindeutige Bekenntnisse selten und einschlägige Hinweise daher eher verwaschen in der Berichterstattung versteckt. Prinzipiell verbieten journalistische Grundsätze aber keineswegs direkte Empfehlungen.“

Aber auch er setzt sich nicht in die Nesseln und gibt anstatt einer Empfehlung eine „Wahlnichtempfehlung“ ab. Rainer empfiehlt ganz offen, drei Parteien nicht zu wählen. Einzig bei den Grünen und bei den Neos wird der Tonfall netter. „Neben den Grünen die einzige intellektuell und moralisch statthafte Protestgelegenheit.“ - Eine seltene Direktheit!
Sind Journalisten auch nur Österreicher?
Auch sie wissen, dass es  einfacher ist zu sudern als Stellung zu beziehen. Natürlich ist es  schwierig, angesichts der derzeitigen Politik professionell und ernsthaft zu bleiben. Zu einfach wäre es, in einen Zynismus zu verfallen, zu resignieren oder sich auf den Beobachterstand zu setzen und den Kopf zu schütteln. So auch bestsellerverwöhnte Autoren wie Thomas Glavinic. Ähnlich wie die hiesigen Journalisten verzichtet er auf eine meinungsführende Position in Österreichs profilloser Brachlandschaft. Er sieht seine Aufgabe viel eher in einem Erklärungstext für Deutschland über den Unterhaltungseffekt der Spitzenkandidaten. In „Du, glückliches Österreich, wähle!" hackt Glavinic auf die Spitzenkandidaten ein, die sich im Gegensatz zu den Parteiprogrammen, wesentlich voneinander unterscheiden würden:

"Der eine Kandidat ist ein Rätsel, das niemand lösen will, der andere holt sich Rat vom Kardinal, ein dritter hetzt gegen Ausländer und predigt Nächstenliebe; die einzige Frontfrau ist kompetent, darf aber gerade deshalb wohl nicht regieren.“

Immerhin schwindelt er eine subtile (?)Wahlempfehlung, wenn auch nicht frei von Zynismus, in seinen Text: 

„Außerdem gibt es da noch die Grünen und das BZÖ. Eva Glawischnig, die Chefin der Grünen, ist klug, kompetent, sympathisch und möglicherweise wirklich in der Lage, etwas für das Land zu leisten, was in Österreich aber quasi automatisch von der Regierungsverantwortung ausschließt.“  

Glavinic hat offenbar schon längst die Kritikerrolle mit der des zyninschen Beobachters getauscht. Verständlich, denn die Formulierung eines Rundumschlags ist natürlich wesentlich unterhaltsamer als eine konstruktive Kritik. Stammtisch-like zieht er seinen Schluss: „Nach der Wahl aber kommt wohl, was wir Österreicher verdienen.“

Ich frage mich mehr als je zuvor: Geht diese Strategie auf?  Identifiziert sich ein Leser wirklich mehr mit seiner Zeitung, wenn sich diese ähnlich frustriert und zynisch gibt? Der Politikfrust unter der Wählerschaft ist eine Sache, für Politikjournalisten ist er aber der Anfang vom beruflichen Ende. 
Stellung beziehen, Argumente für eine konkrete Partei liefern, und dabei zu riskieren, es nachher einmal nicht besser gewusst zu haben - ja, das darf auch sein! Das soll es sogar! Auch als Journalist habe ich die Möglichkeit, meine Meinung  zu ändern. Wechselwähler gibt es auch bei Journalisten - Erklären wir doch dem Lagerdenken den Krieg! Hauchen wir den staubigen Meinungs-Ressorts wieder Leben ein und verzichten wir andernorts auf die Tendenz! Ist es zu viel verlangt, sich das zu wünschen? Vielleicht sogar ein Pro-Contra-Format? Ich wage sogar zu behaupten, dass es mehr als zwei Politologen in diesem Land gibt, die ihre Kommentare abgeben könnten. Liebe Autoren, liebe Journalisten und Blogger, seht den erhobenen Zeigefinger gegen Politik- und Meinungsfrust! Wähler und Leser werden es uns danken...

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